Celle, Neuenhäusen

Steffenstraße 5: Wir wohnten direkt hinterm Landgestüt in einer ehemaligen Offizierswohnung, die schon Bad und Balkon hatte - und (für das Hausmädchen) eine Mansarde, die zu meiner Freiheitsinsel wurde. Gegenüber lag noch ein Ruinengrundstück. Gleich daneben stand das Mobil-Oil-Hochhaus, mit seinen 13 Stockwerken ein Monument des Ölkapitalismus (der in Celle ein heimliches Zentrum hat). Celle ist eine Provinzschönheit mit dunklen Geheimnissen. Es gab also reichlich Gründe für die Jugendrevolte. Aber es gab auch Lichtblicke, etwa als John Lennon im Celler Hof logierte. Oder wenn das Schlosstheater Brecht oder Becket spielte. Dazu kamen bewusstseinserweiternde Ausflüge nach Amsterdam, Berlin, Kopenhagen und London ..

Ich ging auf das Hermann-Billung-Gymnasium, ein Jungenghetto. Etliche unserer Lehrer stammten aus dem 19. Jahrhundert. Vom dritten Stock des alten Backsteingebäudes sahen wir auf die krummen Dächer der Altstadt. In einem der Fachwerkhäuser wohnte mein Freund Reinhard Möller, mit dem ich später Bücher verfasste - eins über über das Celler Zuchthaus und eine Stadtgeschichte - und mit dem ich eine Kunstreise nach Holland unternahm, die unser Leben veränderte. Schließlich gründeten wir die Schülerzeitung bi, unser Kunst- und Schreibprojekt. Deren zweite Ausgabe wurde beste Schülerzeitung Niedersachsens. Weshalb ich, 18, SPD-Kultusminister Peter von Oertzen im Landtag die Hand schütteln und hinterher im NDR-Studio gegenüber ein Interview geben musste. Derselbe von Oertzen, ein Linker, hat dann die nächste bi verboten. Angeblich weil wir in einer "Aufklärungsbeilage" zum Onanieren aufgerufen hatten. In meinem Abiturzeugnis, Durchschnitt 2 Komma 1, hatte ich nur eine 2 und keine 3 ..